Der Karst wird den ICE-Bahn-Bauern auf der Alb Überraschungen bieten
GEISLINGEN (ra) Der Bau der Schnellbahntrasse zwischen Stuttgart und München wird nicht nur für die Menschen eine Belastung, auch die Natur wird in Mitleidenschaft gezogen. Höhlenforscher warnen bereits. Der Vorsitzende des Landesverbandes für Höhlen- und Karstforschung in Baden-Württemberg (LHK), Wolfgang Siegel, und die Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Höhlen- und Karstforscher (VdHK), Bärbel Vogel, äußerten sich jetzt zu den Problemen in der GEISLINGER ZEITUNG.
Wenn in absehbarer Zeit die Bagger auffahren, um mit dem Bau der Schnellbahntrasse zwischen Stuttgart und München zu beginnen, dann werden im Kreisgebiet Göppingen vor allem die Menschen entlang der Autobahn starken Belastungen ausgesetzt. Eine riesige Brücke, die bei Mühlhausen im Täle das Filstal überspannen wird, soll nach dem Willen des Göppinger Kreistags möglichst als Trogbrücke gebaut werden, um die spätere Lärmbelästigung so gering wie möglich zu halten. Die Alb werden die künftigen ICE-Züge weitgehend in Tunnelbauwerken durchqueren, und beim Bau dieser Tunnel befürchten die Höhlenforscher des Landes schwerwiegende Belastungen für die Natur.
Jüngstes Beispiel: Der Bau der Schnellbahntrasse Nürnberg – Erfurt. Hier wurde Anfang April bei den Bauarbeiten am längsten ICE-Tunnel Deutschlands, dem sogenannten „Bleßbergtunnel“ bei Mausendorf in Südthüringen eine riesige Tropfsteinhöhle angeschnitten. Nach Aussagen von Höhlenforschern, die noch die Gelegenheit hatten kurzfristig einen Teil der Höhle zu erkunden, „übersteigen die Ausmaße wohl alles, was es bisher in Thüringen gab“. Stalagmiten (Tropfsteine) sollen über zwei Meter hoch sein. Trotzdem wurde das Naturdenkmal von der Baufirma ohne Rücksicht auf das Naturschutzrecht und Rücksprachen mit zuständigen Behörden einfach mit Beton „plombiert“. Der Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) Thüringen will den Fall gerichtlich klären lassen, es wurde Anzeige erstattet.
Der Vorsitzende des Landesverbandes für Höhlen- und Karstforschung Baden-Württemberg (LHK), Wolfgang Siegel aus Westerheim (Alb-Donau-Kreis), prophezeit, dass auch bei den Tunnelarbeiten der Trasse Stuttgart – München im Bereich der Alb Höhlen angeschnitten werden. Zumindest bei größeren Höhlen müssten dann aber die Möglichkeit gegeben sein, diese Karstobjekte zu erforschen und zu dokumentieren. Der Landesverband, so Siegel, habe seit Jahren ein Referat „Verbindung zu Stuttgart 21 und ICE-Neubaustrecke“, über das bereits Kontakte geknüpft wurden. „Wir hoffen und wünschen uns, dass diese Verbindung während der Bauzeit Früchte trägt“, sagt Siegel.
Und der Bundesverband der Deutschen Höhlen- und Karstforscher (VdHK) mit Sitz in München strebt indes mit den Partnerverbänden in der Schweiz und Österreich einen Gang nach Brüssel an, um verbindliche Regelungen zu erreichen. Bundesvorsitzende Bärbel Vogel: „Nur die Höhlenforschung kann verlässliche Daten zu Lage, Größe, Grundwasserkörper, Höhleninhalten und Fauna liefern. Nur damit ist eine statische, hydrologische und naturschutzrechtliche Abschätzung für das jeweilige Projekt überhaupt möglich.“ Dringend notwendig seien auch Zugänge zu den Höhlensystemen, damit Veränderungen, beispielsweise Hochwasserereignisse, wahrgenommen und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen ergriffen werden könnten. Bereits jetzt fordern die Höhlenforscher, dass:
Der Karst schon während der Planung auch mit seinen Naturschutzaspekten umfassend beachtet wird.
Die rechtlichen Vorgaben zum Schutz der Karstwasserwege voll beachtet werden und eine umfassende Risikobewertung erfolgt.
Beim Anschnitt von Karsthöhlen durch die Baumaßnahmen die Wahl der Mittel nach einer entsprechenden Erkundung erfolgt.
Entdeckte Hohlräume darüber hinaus – unter Beachtung der Bauerfordernisse – soweit wie möglich und nötig einer Erforschung zugänglich gemacht werden.
Bei Bauarbeiten im Karst immer eine ökologische Bauüberwachung erfolgt.
Die Höhlenforscher nennen zudem Beispiele verfehlter Baupolitik in Karstgebieten
Die Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Höhlen- und Karstforschung in München hat im Zusammenhang mit den Bauarbeiten an Schnellbahnstrecken der Bahn auf Beispiele verfehlter Baupolitik in Karstgebieten hingewiesen.
So wurde laut Bärbel Vogel der Bau der ICE Trasse Nürnberg – München um zwei Jahre verzögert, da man beim Tunnelvortrieb auf viele großräumige und wasserführende Höhlen gestoßen ist. Karstkundliche Untersuchungen in diesen Objekten fanden laut Bärbel Vogel bis heute nicht statt.
In der Schweiz sank der Seepegel des Caumasees bei Flims nach Tunnelbauarbeiten. Erst danach wurde das Schweizer Institut für Höhlenforschung eingeschaltet.
In Hallstadt in Österreich wurde bei einer Lawinenverbauung der Hauptquellaustritt eines der größten Höhlensysteme Österreichs verschlossen, allerdings nur bis zum nächsten Hochwasser. Das suchte sich dann seinen Weg!
Mit vermehrten Hochwasserereignissen ist nach Auskunft der Höhlenkundlerin im Zuge des Klimawandels zu rechnen. Gerade deshalb, sie Verbandsvorsitzende, sollte auf unterirdische Wasserwege im Karst besonderes Augenmerk gerichtet werden.
Der Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher fordert daher die Einbeziehung der Höhlenforschung bei Bauvorhaben, die den Karst durchschneiden gesetzlich vorzuschreiben, die exakte Dokumentation der angetroffenen Höhlen und Karsterscheinungen sowie deren Zugänglichkeit zu erhalten, damit potenzielle Gefahren langfristig eingeschätzt werden können.